Zur Klostergründung des Ökumenischen Patriarchats im österreichischen St. Andrä
von Dr. Heinz Gstrein (+)
Die Grundsteinlegung für das erste Kloster des Ökumenischen Patriarchats in Mitteleuropa den 26. September am Zicksee im österreichisch-ungarischen Grenzland hat große ökumenische Bedeutung. Die Tatsache, dass Patriarch Bartholomaios I. wegen wiedererstarkender Corona-Epidemie doch nicht wie geplant daran teilnehmen konnte, vermindert nicht das Gewicht dieses Vorhabens in jenem „Seewinkel“, wo nicht nur Katholiken, Reformierte, Lutheraner und Orthodoxe, sondern bis zur Schoah auch Juden und zum Teil muslimische Roma seit Jahrhunderten zusammenlebten.
Ökumenisch ist auch die Vorgeschichte des jetzt erstehenden Klosters Maria Schutz in der burgenländischen Gemeinde St. Andrä. Der griechisch-orthodoxe Metropolit von Österreich, Arsenios Kardamakis – er hatte von 1999 bis 2004 als Diakon und dann Pfarrer in Karlsruhe gewirkt – nahm angesichts seiner nur zwei „eigenen“ Kirchen in Wien für Gottesdienste in anderen österreichischen Städten dankbar die Gastfreundschaft katholischer Gemeinden in Anspruch. Über diesen auch von seinen griechischen Amtsbrüdern in Deutschland und der Schweiz gern betretenen geschwisterlichen Weg hinaus übernahm er im steierischen Leoben zur Gänze eine katholische Ordenskirche, die von Schließung bzw. Zweckentfremdung bedroht wurde.
Innerster Wunsch des Metropoliten war jedoch die Gründung eines orthodoxen Klosters. Handelt es sich doch bei ihm nicht um einen zölibatären „Weltgeistlichen“, der irgendwo im Kloster „eingeschrieben“ ist, sondern einen echten Mönch aus der kretischen Abtei Hagios Georgios Epanosifis. Als „Kirchenretter“ von Leoben wurde er mit dem katholischen Bischofs des Burgenlands bekannt, Ägidius Zsifkovics. Aus dessen gleichnamiger serbischen Verwandtschaft waren eine Reihe führender orthodoxer Bischöfe im alten Kaiserreich Österreich hervorgegangen. Er freundete sich mit Arsenios an, der ihm seinen „Klostertraum“ anvertraute. Da stellte ihm Bischof Ägidius 2014 spontan einen Baugrund am Zicksee zur Verfügung. Der Ökumenische Patriarch und ebenso Einheitskardinal Kurt Koch befürworteten das Projekt, Papst Franziskus spendete persönlich 100 000 Euro, ein katholischer Großbauer aus der Umgebung beteiligte sich mit einem ebenso hohen Betrag. So erhielt der Klosterbau finanzielle Starthilfe gesichert, doch gab es bürokratische noch jahrelang Hindernisse zu überwinden.
Inzwischen hatte sich mit dem Priestermönch Paisios Jung in Griechenland ein vielversprechend erscheinender Vorsteher für den geplanten Konvent gefunden. Es handelte sich um einen früheren katholischen Ordenspriester aus der Saarpfalz, der seine spirituelle Erfüllung in der Orthodoxie und dem Klösterchen Hagios Arsenios im Vorland des Berges Athos gefunden hatte. Seine geistlichen Betrachtungen sind als Videos und im Internet weit verbreitet. Die Hauptaufgabe von Maria Schutz am Zicksee soll es ja sein, orthodoxes Beten, Betrachten und gemeinsames, kommunitäres Leben im deutschsprachigen Abendland heimisch zu machen.
Die Wiederentdeckung des christlichen Ostens durch die Westchristen hatte ihren Anfang nicht beim Mönchtum, sondern bei Liturgie, Kirchengesang und Ikonenkunst genommen. So konnte der spätere Vater der „Liturgischen Bewegung“, Pius Parsch (1884-1954), im Ersten Weltkrieg als Feldkurat an der Ostfront russische Gottesdienste mitfeiern, die ihn – seinen Tagebuchaufzeichnungen nach – für immer geprägt haben. Die bald folgenden Ströme von Flüchtlingen und Emigranten vor dem Roten Terror der Sowjetunion trugen orthodoxes liturgisches Leben nach Mittel- und Westeuropa, weiter nach Amerika. Sie brachten auch die orthodoxe Theologie nach Saint-Serge in Paris oder St. Vladimir´s von New York, in Berlin schrieb Igor Smolitsch sein berühmtes „Leben und Lehre der Starzen“. Doch nirgendwo gab es eine monastische Stätte, wo man die orthodoxe Mystik lernen und leben konnte.
Einzige Ausnahme war zunächst das Kloster des Heiligen Hiob von Potschajew, während der Zwischenkriegszeit von geflohenen Mönchen in der damals tschechoslowakischen Karpathenukraine gegründet und 1945 vor der heranrückenden Roten Armee nach Obermenzing in München verlegt. Im nahen Gauting entstand 2005 das Frauenkloster der hl. Großfürstin Elisabeth. Beide gehören zur Russischen Auslandskirche, die sich aber erst 2007 wieder ihrer Moskauer Mutterkirche anschloss und damit gesamtorthodoxe Anerkennung erlangte. Seit 1993 gibt es im niedersächsischen Bodenwerder ein „Deutsches Orthodoxes Dreifaltigkeitskloster“ bulgarischer Jurisdiktion, im rheinland-pfälzischen Geilnau besteht die serbische „Mönchsgemeinschaft St. Spyridon“. Aus orthodoxer Sicht unkanonisch ist in Altenbergen/Thüringen St. Gabriel von der griechischen Altkalender-Kirche, im jurisdiktionell luftleeren Raum schwebt zur Zeit an der Lahn das Frauenkloster Hagios Dionysios, das die katholischen „Arnsteiner Patres“ 2018 beerbt hat. Es bietet der angesehenen Äbtissin Diodora Stapenhorst und ihrer Schwesternschaft Zuflucht. Die gebürtige Deutsche hatte in Thessalien ein orthodoxes Modell-Frauenkloster gegründet und dafür vom griechischen Staatspräsidenten persönlich ehrenhalber die Staatsbürgerbürgerschaft erhalten (öki 7 vom 14.2.2017, Seite 12), ehe sie wegen Quereleien in der Orthodoxen Kirche von Griechenland wieder in ihre Heimat zurückkehren musste.
Alle diese monastischen Zentren der Orthodoxie in Deutschland sind also nationalkirchlich eingeschränkt oder jurisdiktionell belastet, können sich nicht mit den im 20.Jahrhundert entstandenen katholischen Klöstern des byzantinischen Ritus wie dem bayerischen Niederalteich und Chevetogne in Belgien oder der italienischen Kommunität von Bose messen.
Schon der große Konstantinopler Einheitspatriarch Athenagoras I. erkannte da die Notwendigkeit einer gesamtorthodoxen Klostergründung. Er nahm sie 1965 in Gemeinschaft mit der ökumenischen Bruderschaft von Taizé vor und bestellte Damaskinos Papandreou (1936-2011) zum ersten Abt. Wegen unerwarteter Schwierikeiten in Taizé verlagerte sich die Initiative des Ökumenischen Patriarchats aber bald nach Genf und vom Mönchtum auf die Gebiete orthodoxes Konzil, christliche Einheit und Dialog mit den Weltreligionen.
Mit der deutschen Reisewelle nach dem Zweiten Weltkrieg begannen ab den 1950er Jahren viele an der Orthodoxie Interessierte nach dem Heiligen Berg Athos zu pilgern. Sie wurden dort freundlich, auch mit liturgischer Gastfreundschaft aufgenommen. Der Athos wurde zum orthodoxen Leuchtturm, der mit seinem Mönchsleben und dessen Innerlichkeit die Herzen frommer Deutscher erhellte. Bald gab es Versuche, dem Heiligen Berg auch daheim nachzueifern. Sie gerieten aber allesamt mangels Interesse der offiziellen Orthodoxie, die voll und ganz in der Emigranten- oder Gastarbeiterseelsorge aufging, ins pseudorthodoxe Fahrwasser von unkanonischen Vagantenbischöfen (episcopi vagantes): So das Klosterschloss Autenried des „aquileianischen“ Erzbischofs Boris Rothemund in Schwaben oder die Versuche österreichischer Athosfreunde, auf der Kärntner Saualpe einen „Skit“ (kleine Mönchsgemeinschaft) zu gründen. Vergeblich suchten sie dafür 1961 Unterstützung beim Münchener Pfarrer des Moskauer Patriarchats Igor Susemihl, dem nachmaligen russischen Metropoliten Irinej von Wien, und dort bei Bischof Philaret Denisenko, dem heute umstrittenen „Patriarchen von Kiew“.
Einzig ernsthaften Versuch, im katholischen Raum eine Niederlassung des Athos zu errichten, unternahm 1964 der heute als Heiliger verehrte Abt Gabriel von Dionysiou. Er wollte in der ehemaligen Kartause Mauerbach bei Wien ein „Metochion“ (Klostergut) seiner Abtei einrichten, was aber schließlich bei den Verhandlungen mit der Republik Österreich als Eigentümerin zu keinem Erfolg führte.
Dann wurde es wieder still um eine genuine orthodoxe Klostergründung in Mitteleuropa – bis zur dieser Grundsteinlegung im Burgenland. Was sie verspricht, zeigt schon jetzt ein Besuch im „Kellion“ (wörtlich „Zelle“, Eremitage) zum hl. Bartholomaios, das Abt Paisios und seine ersten Mönche bis zur Fertigstellung des gesamten Baus bewohnen. Von der Atmosphäre in Kapelle und Garten, Refektorium und Gästehaus, von den Gesichtern und Worten der Brüder geht eine Kraft starker Ruhe, gefestigten Friedens und herzlicher Güte aus, wie sie einem vom Athos vertraut war. Leider aber heute in der Mönchsrepublik immer weniger anzutreffen ist, wo rigorose Einschränkungen den Besuch von Besuchern schmälern, wo Nicht-Orthodoxe nicht einmal mehr gemeinsam mit den Mönchen speisen, sondern draußen im Klosterhof an einem „Katzentisch“ essen müssen, von Teilnahme an den Gottesdiensten sowieso ausgeschlossen sind. Damit büßt der Heilige Berg seine Ausstrahlung für Andersgläubige ein, wird der „neue Athos“ in Österreich umso mehr zur Notwendigkeit.
Ein gutes Jahrhundert lang hatte westliche Christen an der Orthodoxie das Fremd- und Andersartige fasziniert, jetzt können und sollen sie das Gleichartige und Gemeinsame bei gottsuchender Vertiefung und Leben nach dem Evangelium entdecken – gerade in St. Andrä. Es waren oft Mönche, von denen die schon im ersten Jahrtausend auseinandertriftende Ost- und Westkirche zusammengehalten wurde: Wie durch den hl. Simeon, der noch unmittelbar vor dem Entzweiungsakt von 1054 vom Sinai nach Trier kam und sein Leben 1035, eingemauert in der Porta Nigra, als Zeuge für die Eine Kirche beschloss. Wie jetzt auch Bischof Ägidius Zsifkovics bei der Grundsteinlegung von Marias Schutz sagte: „Das Kloster wird verdeutlichen, dass sowohl orthodoxe als auch katholische Christen Mitglieder ein und derselben Familie sind”.
(c) Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Heinz Gstrein
Quelle: www.hephaestuswien.com